Statement
! Inhaltswarnung !

Im Folgenden werden sexuelle Übergriffe und sexualisierte Gewalt thematisiert. Das Lesen des Texts kann belastend sein und negative Reaktionen auslösen. 
Inhalt
1 Einführung
2 Solidarisierung mit Betroffenen
3 Sexismus und strukturelle Gewalt
4 Verstrickung von Headshell
5 Mangelnde Aufarbeitung von Headshell
6 Konsequenzen
1. Einführung
 
Im Folgenden möchten wir, als ein Teil des ehemaligen Headshell-Kollektivs, Stellung dazu beziehen, dass es aus unserer Crew heraus sexuelle Übergriffe gab. Dies wurde erstmals nach der Veranstaltung zu unserem 7. Geburtstag durch Best Boy Electric intern angesprochen. Darauf folgten der Austritt von Best Boy Electric aus dem Headshell-Kollektiv und eine öffentliche Schilderung der Gründe, mit Benennung der sexuellen Übergriffe auf deren Instagram. Eine öffentliche Positionierung oder Reaktion der ehemaligen Crew-Mitglieder blieb bisher aus.


2. Solidarität mit Betroffenen

Zuerst möchten wir nachholen, was unsere erste Reaktion hätte sein müssen: Wir solidarisieren uns mit den betroffenen Personen und Best Boy Electric. In Folge der Veröffentlichung auf Instagram gab es neben Zuspruch auch relativierende Kommentare. Genauso gab es unangemessene Unterstützung für den Täter und Kommentare, die unser Kollektiv in einem besseren Licht darstellen sollten, als es von Best Boy Electric benannt wurde. Solchen Aussagen möchten wir klar widersprechen!
Es bedarf einer Menge Mut, solche Vorfälle öffentlich zu machen. Das Sichtbarmachen von sexuellen Übergriffen, das Durchbrechen von patriarchalen Strukturen und das Einfordern einer angemessenen öffentlichen Auseinandersetzung erfordert viel Kraft und Durchhaltevermögen.
Wir möchten an dieser Stelle zusätzlich anmerken, dass die gewählte Form der Auseinandersetzung auch eine Konsequenz unserer jahrelangen Ignoranz gegenüber FLINTA* Perspektiven und ihren Bedürfnissen darstellt. Wir sind dankbar für das entschlossene Handeln der Betroffenen und ihrer Supporter:innen. Ohne ihren Einsatz hätten wir sehr wahrscheinlich weiter Gebrauch von unseren Privilegien gemacht, hätten geschwiegen und wären untätig geblieben.

Für unsere Versäumnisse und unser Fehlverhalten bitten wir um Entschuldigung. Es hätte direkt eine klare Positionierung und aktive Solidarisierung mit Betroffenen und Best Boy Electric erfolgen müssen. Durch unser Schweigen wurde eine öffentliche Auseinandersetzung mit dem vorliegenden Fall erschwert. Hierdurch haben wir der Relativierung der Vorfälle Raum gelassen und zur Normalisierung der Situation beigetragen. Es ist wichtig sexualisierte Gewalt aus dem Privaten in eine politische Öffentlichkeit zu holen, um den Umgang mit dieser gemeinschaftlich verhandeln zu können. Mit Blick auf die rechtlichen Möglichkeiten zeigt sich deutlich, dass dies für viele Betroffene der einzige Weg ist, einen Umgang mit der Situation einzufordern, andere zu schützen und so etwas wie Gerechtigkeit zu erfahren. Daher wäre es unsere Pflicht gewesen, zuzuhören, nachzufragen und sofort zu handeln.

Wir möchten uns außerdem dafür entschuldigen, dass der Täter und andere Mitglieder des Kollektivs wieder gemeinsam im Hamburger Nachtleben auftauchen und dabei den Eindruck entstehen lassen, als sei dies nicht problematisch. Wir können nur erahnen, wie belastend und (re)traumatisierend sich dieses Verhalten auf die betroffenen Personen auswirken kann. Wir distanzieren uns mit Nachdruck von diesem Verhalten! Wir sind nicht entschlossen genug vorgegangen, damit so etwas nicht passiert.

Mit Blick auf den zurückliegenden Prozess möchten wir außerdem durch dieses Statement darlegen, welche Fehler wir gemacht haben, welche Rolle die innerkollektive Auseinandersetzung dabei gespielt hat und welche Konsequenzen wir nun endlich aus den Geschehnissen ziehen werden. 


3. Sexismus und strukturelle Gewalt
 
Wir leben in einer patriarchalen Gesellschaft, von der mehrheitlich weiße cis Männer profitieren, während FLINTA* ungleich und nachteilig behandelt werden. Dies gilt im Besonderen für Menschen die durch mehrfache Diskriminierungsformen betroffen sind. Die ungleiche Verteilung von Macht und die daraus resultierende strukturelle Unterdrückung von FLINTA* durchzieht die gesamte Gesellschaft und somit genauso linke und vermeintlich aufgeklärte Kreise. Trotz mehrfacher Versuche von Best Boy Electric, die Crew zu sensibilisieren haben wir diese Strukturen innerhalb unserer Crew reproduziert, ohne sie entsprechend reflektiert und adressiert zu haben. Wir möchten uns jedoch nicht hinter der Strukturalität von Unterdrückungsverhältnissen verstecken, sondern Verantwortung für unser Handeln übernehmen.

Obwohl Clubs zunehmend als Freiräume und Safer Spaces eingefordert und wahrgenommen werden, kommt es dort weiterhin regelmäßig zu grenzüberschreitendem Verhalten von cis Männern. Es sind keine Einzelfälle, sondern es ist der sexistische Normalzustand, der sich auch in diesem Umfeld reproduziert.
Dies zeigt sich unter anderem in verbalen und physischen Grenzüberschreitungen durch cis Männer im Club-Kontext, genauso wie innerhalb der Crew bei der Vorbereitung einer Veranstaltung oder auf der gemeinsamen After-Hour. Cis Männer nehmen sich selbstsicher die Räume, sind laut und omnipräsent, machen dumme Sprüche oder stellen sich als vermeintlich Allwissende aktiv über FLINTA* und nehmen sie somit nicht als gleichberechtigt und auf Augenhöhe wahr. (1)

Neben solcher Formen der Herabsetzung von FLINTA* begünstigen existierende Machtverhältnisse sexuelle Übergriffe von cis Männern und führen dazu, dass zu Übergriffen geschwiegen und Betroffenen nicht geglaubt, bzw. die Perspektive des Täters als zutreffend und entscheidend definiert wird. Die Verantwortung wird vom Täter auf die betroffene Person umgelegt und Sanktionen für ersteren bleiben überwiegend aus. Die privilegierte Stellung (weißer) cis Männer innerhalb ihres sozialen Umfeldes sorgt zusätzlich dafür, dass sexuelle Übergriffe verharmlost und geleugnet werden und der Täter wenige soziale Konsequenzen zu befürchten hat. Gerade in einem cis männlich dominierten Kollektiv ist es deshalb unabdingbar, sich mit der eigenen Machtposition und sozialen Stellung kritisch auseinanderzusetzen, um sexistische Strukturen zu verstehen und diesen entgegenzutreten.


4. Verstrickung von Headshell

Einige Mitglieder haben kurz nach dem Vorfall vom Täter und durch das Umfeld der betroffenen Person von dem sexuellen Übergriff erfahren. Crew-intern wurden nur vage Andeutungen gemacht, dass es einen Fall im Umfeld gäbe, der Konkrete Fall wurde aber auch auf Nachfrage nicht klar benannt. Stattdessen wurde abgewartet und gehofft, dass sich die Angelegenheit im kleinen Kreis löst. Der Übergriff wurde also innerhalb der Crew nicht angesprochen und einzelne Mitglieder wurden bewusst in Unwissenheit gelassen. Es wurde nicht nachgefragt und kein Verantwortungsgefühl gegenüber Betroffenen und der Verfasstheit der Crew entwickelt. All dies hat sich zudem in einem Bekanntenkreis abgespielt, in dem sich viele der involvierten Personen bereits seit Jahren kennen und es immer wieder Gelegenheiten zum Austausch gegeben hätte. 
Somit wurde die bevorstehende Veranstaltung zum 7. Geburtstag von Headshell ohne Rücksichtnahme auf die vorliegende Situation geplant und umgesetzt. Der Täter war Teil der Veranstaltung und konnte dort ungehindert sein Live-Set spielen. Nachdem Best Boy Electric von den Übergriffen erfahren hatte, machte dey diese innerhalb des Kollektivs öffentlich und forderte eine Auseinandersetzung ein. Das darauffolgende Plenum wurde von uns plan- und konzeptlos durchgeführt. Direkte Konsequenzen für den Täter blieben aus.
Unsere unzureichende Sensibilisierung und unser unreflektiertes Verhalten, sowohl kollektiv als auch individuell, hat dazu geführt, dass in der Vergangenheit Raum für sexistisches Verhalten blieb und sexuelle Übergriffe verübt und nicht als solche anerkannt wurden. Hierzu zählen wir auch explizit das unkritische Konsumverhalten innerhalb des Kollektivs.


5. Mangelnde Aufarbeitung von Headshell

Infolge des Outcalls und nach dem Austritt von Best Boy Electric haben wir uns in eine (inner-) kollektive Aufarbeitung begeben. Wir haben dann in einer Nachricht an die zunächst von der Betroffenen gewählte Gemeinschaft einer Telegramgruppe angekündigt, uns mit der Situation auseinanderzusetzen und unterstützend zu handeln. Dieser Ankündigung ist das Kollektiv im Folgenden jedoch nicht nachgekommen.
 
In dieser Nachricht haben wir geäußert, dass es ein Fehler war, nachdem wir über die Vorfälle informiert wurden, nicht direkt mit der betroffenen Person in Kontakt getreten zu sein. Wir haben angekündigt, dass unser Handeln fortan mit betroffenen Personen abgestimmt wird und sich an deren Bedürfnissen und Forderungen orientiert. Hierzu haben wir unsere Gesprächsbereitschaft zugesagt. Wir haben erklärt, dass wir die strukturellen Probleme in unserem Kollektiv erkennen und ernst nehmen, alle weiteren Aktivitäten des Kollektivs einstellen und uns in einen Aufarbeitungsprozess begeben. Für letzteren würden wir uns externe Unterstützung suchen. Wir haben den Täter aus dem Kollektiv ausgeschlossen und zugesagt, dass dieser keinen Zutritt mehr zu Räumen haben würde, die von uns (mit)gestaltet und (mit)genutzt wurden. Alle übrigen Mitglieder würden sich zudem ebenfalls aus den genannten Räumen zurückziehen, was die Rückgewinnung dieser Räume durch FLINTA* unterstützen sollte. Eine Positionierung gegenüber Best Boy Electrics Outcall sowie konkrete Unterstützung in Folge der Kommentare auf Instagram haben nicht stattgefunden.
 
Tatsächlich wurde aber kein entsprechender Umgang mit der Situation gefunden und die angekündigten Handlungen blieben aus. Anstatt unsere Solidarität und unser weiteres Vorgehen transparent und öffentlich zu kommunizieren, haben wir uns in einen innerkollektiven Prozess zurückgezogen und somit eine gemeinschaftliche Auseinandersetzung blockiert. Gleichzeitig gab es eine schrittweise Normalisierung des Umgangs mit dem Täter. Es wurde sich nicht wie angekündigt vom Täter distanziert und es wurden keine Strategien für einen bewussten Umgang mit ihm erarbeitet. Hierdurch und durch unser öffentliches Schweigen haben wir relativierenden Narrativen Raum gelassen und die betroffenen Personen in dieser Situation nicht unterstützt. 

In den wöchentlichen Aufarbeitungstreffen – die in einem rein cis männlichen Kreis stattfanden und in denen eine Grundlage für ein Arbeitswochenende mit externer Unterstützung geschaffen werden sollte – konnte kein der Situation angemessener gemeinsamer Umgang hergestellt werden. Das Versäumnis, sich um professionelle externe Hilfe zu kümmern und somit unseren Prozess um nicht-weiße cis männliche Perspektiven zu erweitern, hat dazu geführt, dass wir in unserer Aufarbeitung Momente toxischer Männlichkeit reproduziert haben. Diese haben sich schädlich auf den Umgang mit Betroffenen und unseren Aufarbeitungsprozess ausgewirkt.
Es gab keine Arbeit die sich an der betroffenen Perspektive und ihren Bedürfnissen orientiert hat. Stattdessen waren wir immer wieder mit uns selbst beschäftigt, um Minimalkonsense herzustellen, damit weiter im Kollektiv gearbeitet und reflektiert werden konnte. Hierdurch haben wir eine tiefergehende und gemeinschaftliche Aufarbeitung blockiert.


6. Konsequenzen

Als Konsequenz der Ereignisse und des unangemessenen Umgangs mit der Situation lösen wir Headshell und den gemeinsamen Aufarbeitungsprozess auf. Dies soll nicht bedeuten, dass es keine weitere Auseinandersetzung mehr mit der Thematik von ehemaligen Crew Mitgliedern geben wird, diese wird aber außerhalb der alten kollektiven Strukturen stattfinden. Wir erhoffen uns davon einen kritischen Umgang mit dem gescheiterten kollektiven Aufarbeitungsprozess und aktivere Formen der Unterstützung als das bloße Reagieren auf einen erhöhten öffentlichen Druck. Trotz der Auflösung des Kollektivs trägt der Täter die Verantwortung für sein sexuell übergriffiges Verhalten, genauso wie wir, für die Aufrechterhaltung sexistischer und patriarchaler Strukturen. Es ist unsere Aufgabe, solidarisch zu handeln, uns mit der Situation auseinanderzusetzen, die Übergriffe ernst zu nehmen, gegen eine Normalisierung einzustehen und unseren Freunden Fehlverhalten kritisch zu spiegeln.
Die Auflösung des Kollektivs kommt zu spät, soll aber trotzdem klarstellen, dass Taten Folgen haben und es nicht so weitergehen kann wie bisher. Wir sind in der Verantwortung, unser Handeln immer wieder zu hinterfragen, Fehler einzugestehen und daran zu arbeiten, dass sich diese nicht wiederholen. 


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Wir haben diesen Text aus unserer eigenen weißen cis männlichen Perspektive verfasst und wollen daher nicht den Anspruch erheben die Situation allumfassend erkannt und analysiert zu haben. Vieles von dem hier Genannten stammt aus Theorien und Bildungsarbeit, die zu einem überwiegenden Großteil von FLINTA* geleistet wurde/wird bzw. aus Reflexionen, die uns FLINTA* aus unserem Umfeld gespiegelt haben. Wir verstehen, dass wir mit Blick auf den zurückliegenden Prozess nicht unbedingt als vertrauenswürdigen Ansprechpartner dastehen. Wir möchten euch aber dennoch die Möglichkeit geben mit uns in Kontakt zu treten, falls ihr das wünscht. Hierfür könnt ihr uns unter reach-out@gmx.de schreiben.

Eine Liste mit Anlaufstellen und weiteren Informationen für Betroffene sexueller und sexualisierter Gewalt könnt ihr unter http://unterstuetzerinneninfo.blogsport.de/ finden.

(1) Das Leipziger Musik-Magazin „FrohFroh“ hat in verschiedenen Artikeln zu sexueller und sexualisierter Gewalt gearbeitet und diese im Club-Kontext sichtbarer gemacht. Hier findet ihr Beispiele und Handlungshinweise, die nicht unserer eigenen Perspektive entspringen. Die Artikel findet ihr unter: https://www.frohfroh.de/category/life